Klage nach Ablauf der Neubemessungsfrist von 4 Jahren zulässig

Der Versicherungsnehmer erlitt am 24.12.2009 einen schweren Schiunfall.

 

Nach einer Neubemessung des Invaliditätsgrades übermittelt der Versicherer dem Versicherungsnehmer am 19.11.2013 ein Schreiben. Der Versicherer teilt mit, dass innerhalb von sechs Monaten nach Zugang des Schreibens gegen das Entschädigungsangebot Einspruch erhoben werden könne, wobei er auf die hiefür vorgesehene Ärztekommission  hinweist und bekannt gibt, dass er in diesem Fall auf sein Recht ausdrücklich nicht verzichtet. Weiters bezieht sich der Versicherer auf eine dem Schreiben angeschlossene Entschädigungsquittung und ersucht, diese ausgefüllt und unterschrieben zu retournieren; dann könne er das Geld auch rasch überweisen. Danach ersucht der Versicherungsnehmer mit E-Mail vom 21.11.2013 unter Bezugnahme auf das „Entschädigungsschreiben“ vom 19.11.2013 um Überweisung des Differenzbetrags. Die Überweisung des Differenzbetrags wurde vom Versicherer noch am selben Tag veranlasst. Mit dem allein festgestellten vorbehaltslosen Abruf der von der Beklagten errechneten Versicherungsleistung ist keine vergleichsweise Bereinigung des Versicherungsfalls verbunden.

 

Am 11. 11. 2014 übermittelt der Versicherungsnehmer ein weiteres Gutachten (mit höherem Invaliditätsgrad) an den Versicherer und ersucht den Versicherer, den Differenzbetrag auszuzahlen. Am 11.11.2014 lehnt der Versicherer weitere Leistungen ab. Am 30.4.2015 reicht der Versicherungsnehmer die Klage ein.

 

Der OGH dazu: Es ist zwar nach dem Ablauf der 4-Jahresfrist nach den Bedingungen keine Neubemessung mehr möglich, aber es ist zulässig, dass der Versicherungsnehmer nach Ablauf dieser Frist eine Überprüfung der Ende 2013 erfolgten Neubemessung wünscht. Dazu muss der Versicherungsnehmer innerhalb der Verjährungsfrist des § 12 VersVG Klage erheben. Die Frist beträgt in diesem Fall 3 Jahre, weil eine qualifizierte Ablehnung nach § 12 Abs 3 VersVG nicht erfolgte. Die Frist beginnt mit dem 19.11.2013 (Information über das Ergebnis der Neubemessung) zu laufen. Die Klage des Versicherungsnehmers ist also zulässig und auch rechtzeitig. Der Verzicht auf die Einberufung der Ärztekommission bedeutet keinen Anspruchsverzicht (OGH 7 Ob 235/16h).

 


Kommentar

Die Verfallsfristen in der Unfallversicherung sind häufig Grund für Streitigkeiten. Im Wesentlichen sind zwei Verfallsfristen zu unterscheiden:

 

Die erste Frist betrifft die erstmalige Geltendmachung der Dauerinvalidität unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes innerhalb der Frist. Diese Frist liegt je nach Versicherer zwischen 15 Monate und 36 Monate. Geht aus der Unfallschadenmeldung klar hervor, dass eine Dauerinvalidität besteht, ist der Versicherer auch verpflichtet, den Versicherungsnehmer auf diese Verfallsfrist hinzuweisen (Treuepflicht). Unterliegt der Versicherungsvertrag deutschem Recht, ist der Versicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer im Schadenfall jedenfalls auf diese Frist hinzuweisen. Andernfalls kann er den Ablauf der Verfallsfrist nicht mehr einwenden (§ 186 dVVG). 

 

Ist der Invaliditätsgrad erstmals festgestellt, haben sowohl der Versicherungsnehmer als auch der Versicherer die Möglichkeit, den Invaliditätsgrad innerhalb von 4 Jahren ab dem Unfalltag jährlich ärztlich neu bemessen zu lassen.

 

Davon zu unterscheiden sind die Verjährungsfristen des § 12 VersVG. Die Verjährungsfrist beträgt grundsätzlich 3 Jahre. Lehnt der Versicherer qualifiziert ab, verkürzt sich die Frist auf 1 Jahr.

 

Wie die vorliegende Entscheidung zeigt, ist zwar eine Neubemessung des Invaliditätsgrades nach Ablauf von 4 Jahren nicht mehr möglich, wohl aber die Anfechtung einer vor Ablauf der 4 Jahre erfolgten Neubemessung, wenn innerhalb der Verjährungsfrist, die grundsätzlich mit der Beendigung der Erhebungen des Versicherers zu laufen beginnt, die Klage eingereicht wird.


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