Streit über Invaliditätsabrechnung in der UV: Rechtsschutzversicherer leistungsfrei

Der OGH beurteilte in einem aktuellen Fall (7 Ob 129/20a, versdb 2020, 49) den Versicherungsfallzeitpunkt bei der Anfechtung einer Invaliditätsabrechnung in der Unfallversicherung. Die Entscheidung des OGH ist schlüssig. Problematisch sind in diesem Zusammenhang allerdings Produktunterschiede am Markt.

 

 

Der dem Streit zugrunde gelegte Rechtsschutzversicherungsvertrag endete am 1. 4. 2017, 00:00 Uhr und beinhaltete auch einen allgemeinen Vertragsrechtsschutz einschließlich Streitigkeiten aus Versicherungsverträgen.

Die Klagevertreterin hat mit dem Aufforderungsschreiben vom 28. 5. 2018 gegenüber dem Rechtsschutzversicherer Kostendeckungszusage für die Verfolgung der Ansprüche des Klägers gegen den Unfallversicherer auf Basis dessen Forderungsschreibens (auch vom 28. 5. 2018) an den Unfallversicherer verlangt. In diesem Forderungsschreiben wird eine „restliche Invaliditätsentschädigung“ von 40 % mit der Behauptung verlangt, dass die vom Unfallversicherer laut dessen Abrechnungsschreiben vom 20. 3. 2018 bekanntgegebene Invaliditätsentschädigung, die auf ab Dezember 2017 eingeholten medizinischen Gutachten beruhte, „viel zu gering“ sei. 

Die nunmehr vom Kläger behaupteten, vor dem 1. 4. 2017 gelegenen Verstöße des Unfallversicherers, wonach dieser keine Akontozahlung geleistet, die Geschädigte über diese Möglichkeit nicht aufgeklärt, sich nicht schon früher darüber erklärt habe, in welcher Höhe er seine Leistung anerkenne und insgesamt nicht schon früher Zahlung erbracht habe, stehen mit der behaupteten unrichtigen Ausmittlung der Invaliditätsentschädigung, die Gegenstand der vom Kläger angestrebten Rechtsverfolgung sein soll, in keinem (adäquat) kausalen Zusammenhang. Der maßgebliche Verstoßzeitpunkt liegt somit zeitlich nach Ende des Rechtsschutzversicherungsvertrages und der Rechtsschutzversicherer ist somit nach dieser Entscheidung des OGH leistungsfrei.

 

Anmerkung

 

Die Entscheidung des OGH ist hier verständlich und nachvollziehbar. Ein Verstoß ist nach der Judikatur des OGH ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Maßgeblich ist, welche Rechtsverfolgung der Versicherungsnehmer anstrebt und welcher behauptete Verstoß dafür gegebenenfalls adäquat kausal gewesen sein kann. Der Versicherungsfall und damit die Beurteilung der Deckungspflicht richtet sich nach dem vom Kläger geltend zu machenden Anspruch und ist insofern eine Frage des Einzelfalls. Im vorliegenden Fall wird eindeutig nur die Abrechnung des Unfallversicherers vom 20. 3. 2018 beanstandet. Der Kläger versucht nun mögliche Verstöße des Unfallversicherers vor diesem Zeitraum zu bringen und so den Verstoßzeitpunkt in den versicherten Zeitraum zu verschieben. Diese Vorfälle stehen aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Abrechnung der Leistung aus dem Unfallversicherungsvertrag und sind daher für die Beurteilung der zeitlichen Einordnung des Versicherungsfalles nicht relevant.

 

Unterschiedliche Definitionen am Markt

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass es aktuell Versicherungsprodukte am Markt gibt, die den Versicherungsfall für Streitigkeiten aus Unfall-Versicherungsverträgen wie folgt definieren: "Für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Unfallversicherungsverträgen (Versicherungsvertragsstreitigkeiten) gilt als Versicherungsfall abweichend von Art. 2.3. der Zeitpunkt des Unfallereignisses" (vgl. Gisch, versdb print 2020 H 6, 4). Würde dem Versicherungsvertrag diese Formulierung zugrunde liegen, hätte der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz. Aufgrund unterschiedlicher Versicherungsfalldefinitionen kann es aber beim Wechsel des Rechtsschutzversicherers zu zeitlichen Deckungslücken kommen.