OGH kippt Allmählichkeitsausschluss

Sowohl in der Haftpflicht- als auch in der Rechtsschutzversicherung gibt es einen Ällmählichkeitsausschluss. In einer aktuellen Entscheidung (OGH 7 Ob 118/20h, versdb 2020, 50) erklärt das Höchstgericht die Klausel in der Rechtsschutzversicherung für intransparent. Die Klausel ist aber auch aus anderen Gründen problematisch.

 

 

Der Kläger war bei der Berufsfeuerwehr der Stadt I***** als Beamter beschäftigt und wurde mit Ablauf Jänner 2015 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Zuvor befand er sich zumindest seit dem 25. 4. 2013 in psychiatrischer Behandlung und seit 24. 1. 2014 bis zu seiner Pensionierung im Krankenstand. Er machte nun Amtshaftungsansprüche gegenüber seinem früheren Arbeitgeber geltend. Zur Begründung dieser Begehren brachte der VN zusammengefasst vor, dass er seit seiner Tätigkeit als Personalvertreter systematische Mobbing- und Bossinghandlungen durch Mitarbeiter und Vorgesetzte erdulden habe müssen. Im August 2010 sei es beispielsweise zur Einleitung eines unbegründeten Disziplinarverfahrens gegen ihn gekommen, das nach einem Jahr eingestellt worden sei. Im Verlauf der Jahre sei es zu weiteren Vorfällen gekommen. Konkret wurden „Mobbinghandlungen“ im Zeitraum vom 19. 9. 2011 bis 15. 7. 2013 und auch im zweiten Halbjahr 2013 und im Jahr 2014 angeführt. Diese Handlungen hätten beim Kläger psychische Beschwerden verursacht, worauf er sich im Jahre 2013 in psychiatrische Behandlung, ab 24. 1. 2014 in den Krankenstand begeben habe müssen. Die dargestellten Ereignisse hätten bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung samt einhergehender Berufsunfähigkeit verursacht.

 

Ausschluss Allmählichkeit

 

Der Versicherer wandte nun u.a. den Allmählichkeitsausschluss in Artikel 7 ARB ein: "Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen ... in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit ... Ereignissen, ... die auf allmähliche Einwirkungen zurückzuführen sind;"

Der OGH erklärte diesen Ausschluss allerdings für intransparent und begründet seine Entscheidung so: In den vorliegenden Versicherungsbedingungen wird der Begriff „Ereignis“ nicht definiert. Er kommt lediglich in Art 2 ARB als Wortbestandteil des Schadenereignisses vor. Weiters wird er in Art 7 ARB verwendet (Kriegsereignisse; in der Definition einer Katastrophe; als nukleares oder genetisches Ereignis). Im hier interessierenden Zusammenhang erfährt der Begriff „Ereignis“ keine wie immer geartete Umschreibung, sodass für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer völlig offenbleibt, was darunter zu verstehen sein soll. Auch der Begriff der Einwirkungen wird in keiner Weise konkretisiert, sodass insgesamt völlig unklar ist, welche Art von Einwirkung zu welchem Ereignis führen muss, um die Voraussetzungen des Risikoausschlusses zu erfüllen. Der Versicherungsnehmer kann damit auch nicht erkennen, welche Interessen, die er mit Rechtsschutz wahrzunehmen beabsichtigt, im ursächlichen Zusammenhang mit dem nicht weiter konkretisierten auf allmähliche Einwirkung zurückzuführenden Ereignis stehen und daher vom genannten Risikoausschluss umfasst sind.

Da die Klausel intransparent (iSd § 6 Abs 3 KSchG) ist, kommt die Klausel für Verbraucherverträge nicht zur Anwendung.

 

Anmerkung: Klausel in den ARB wohl auch gröblich benachteiligend

 

Der Allmählichkeitsausschluss in der Rechtsschutzversicherung ist wohl auch gröblich benachteiligend iSd des § 879 Abs 3 ABGB. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich zwischen der Ausschlussklausel in den AHVB (Haftpflicht) und in den ARB (Rechtsschutz). Der Ausschluss in den AHVB lautet: "Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an Sachen durch allmähliche Emission oder allmähliche Einwirkung von Temperatur, Gasen, Dämpfen, Flüssigkeiten, Feuchtigkeit oder nicht atmosphärischen Niederschlägen (wie Rauch, Ruß, Staub usw.)."

Der Ausschluss in den ARB geht wesentlich weiter als die Definition in den AHVB. Der größte Unterschied liegt darin, dass im Gegensatz zum AHVB-Ausschluss im ARB-Ausschluss auch Personenschäden vom Ausschluss mit umfasst sind. Erleidet beispielsweise der Versicherungsnehmer aufgrund von schädlichen Emissionen aus einem Betrieb Gesundheitsschäden, sind entsprechende Kosten für die Durchsetzung von Schadenersatzforderungen aufgrund des Allmählichkeitsausschlusses des Artikel 7 ARB nicht umfasst. Umgekehrt hätte der haftpflichtversicherte Betrieb Deckung aus seiner Haftpflichtversicherung für solche Schadenersatzforderungen, weil der Allmählichkeitsausschluss nur bei Sachschäden Anwendung findet. Viele Versicherer bieten in der Haftpflichtversicherung die Möglichkeit, diesen Allmählichkeitsausschluss zumindest teilweise wieder aufzuheben. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Ausschluss in den ARB sehr bedenklich ist, weil vom Ausschluss auch Schadenersatzforderungen aufgrund eines Personenschadens mit umfasst sind. Der Versicherungsnehmer des Rechtsschutzversicherungsvertrages hat es auch nicht in der Hand, solche Schäden zu verhindern, weil er nicht - wie der Betriebsinhaber und Versicherungsnehmer des Haftpflichtversicherungsvertrages - geeignete Sicherheitsvorkehrungen treffen kann. Sinnvoll wäre in der Rechtsschutzversicherung die Einschränkung der Klausel auf Sachschäden mit einer ähnlichen Formulierung wie in der Haftpflichtversicherung oder die gänzliche Aufhebung des Ausschlusses.

 

 

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