LV-Spätrücktritt trotz richtiger Belehrung in der Polizze möglich

Das Rücktrittsrecht in der Lebensversicherung beschäftigt uns schon einige Jahre. Ausgehend von einer Entscheidung des EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren (C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18) ergingen in letzter Zeit zahlreiche Urteile des OGH – nun auch eines zu unterschiedlichen Rücktrittsbelehrungen auf Antrag und Polizze (OGH 7 Ob 146/20a).

 

 

Die Klägerin schloss mit dem Versicherer einen Vertrag über eine „Pensionsversicherung mit Prämienrückgewähr mit Gewinnbeteiligung“ mit Versicherungsbeginn 1. 10. 2008 und einer Vertragsdauer von 17 Jahren ab. Im Antragsformular des Versicherers fand sich unter der Überschrift „8. Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsnehmers“ folgender Text:

„Sie können unter folgenden Voraussetzungen zurücktreten bzw diesen kündigen:

[...]

Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG

Sie können binnen zweier Wochen nach Zustandekommen des Vertrages von diesem zurücktreten.

[...]“

 

Die der Klägerin vom Versicherer übermittelte Polizze enthielt folgende Belehrung:

„Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers

[...]

Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG:

Sie sind berechtigt, binnen 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrages von diesem zurückzutreten.

[...]“

 

Mit Schreiben vom 10. 1. 2018 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Versicherungsvertrag mit der Begründung, dass die Rücktrittsbelehrung im Versicherungsvertrag nicht ordnungsgemäß bzw unvollständig und mangelhaft sei. Die Klägerin hat bisher Prämien in Höhe von EUR 7.132,08 bezahlt. Die Klägerin begehrte die Rückzahlung der geleisteten Prämien zuzüglich gestaffelter Zinsen. Aus der fehlerhaften Belehrung nach § 165a VersVG folge ein unbefristetes Rücktrittsrecht.

 

Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idF BGBl I 2006/95) lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrages von diesem zurückzutreten. ...“

 

Der bei Vertragsabschluss geltende § 9a Abs 1 VAG (idF BGBl I 2007/56) lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist bei Abschluss eines Versicherungsvertrages über ein im Inland gelegenes Risiko vor Abgabe seiner Vertragserklärung schriftlich zu informieren über

...

6. die Umstände, unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluss des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann.

...“

 

Der OGH hat bereits mehrfach aufgrund der Judikatur des EuGH entschieden, dass aufgrund einer fehlerhaften Belehrung über die Dauer der Rücktrittsfrist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 165a Abs 2 VersVG dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zusteht.

 

Spätrücktritt zulässig

 

Im gegenständlichen Fall entschied der OGH zu Gunsten des klagenden Versicherungsnehmers:

Auch wenn die später in der Polizze erfolgte Belehrung die richtige Rücktrittsfrist vorsah, so unterblieb doch eine Klarstellung, dass die erst kurz davor erfolgte Belehrung im Antragsformular unrichtig und gegenstandslos sei. Die Klägerin wurde damit über ihre Rücktrittsmöglichkeit insofern fehlerhaft und irreführend belehrt, als ihr im engen zeitlichen Konnex zwei unterschiedliche Fristen für den Rücktritt genannt wurden. Dies war geeignet, sie zwischen dem 15. und dem 30. Tag nach Vertragsabschluss zur irrigen Auffassung zu verleiten, dass das Rücktrittsrecht bereits abgelaufen sei und sie damit vom eigentlich noch zulässigen Rücktritt abzuhalten. Damit wurde der Klägerin die Möglichkeit genommen, ihr Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Die Rücktrittsfrist nach § 165a Abs 1 VersVG hat daher im vorliegenden Fall mangels korrekter Belehrung nicht mit dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu dem die Klägerin davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Vertrag geschlossen wurde. Die hier vorliegende irreführende Belehrung steht dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht.

 

Anmerkung

 

In die gleiche Richtung wie die gegenständliche Entscheidung ging bereits die Entscheidung OGH 7 Ob 20/20x. 

Viele Themen im Zusammenhang mit dem Spätrücktritt in der Lebensversicherung wurden vom OGH bereits entschieden und sind somit geklärt – z.B.:

  • Kein Anspruch gegenüber dem Versicherer auf Rückerstattung der Versicherungssteuer: OGH 7 Ob 105/20x
  • Rückabwicklung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen: ua OGH 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y, 7 Ob 20/20x, 7 Ob 40/20p, 7 Ob 14/20i, 7 Ob 18/20b, 7 Ob 8/20g
  • Beschränkung der Rückabwicklung auf bloßen Rückkaufswert unzulässig: OGH 7 Ob 18/20b
  • Rücktritt bei fehlerhafter Rücktrittsbelehrung auch nach Vertragskündigung zulässig: OGH 7 Ob 6/20p
  • Rücktritt bei fehlerhafter (oder fehlender) Rücktrittsbelehrung auch nach Vertragsablauf zulässig: OGH 7 Ob 11/20y, 7 Ob 40/20p, 7 Ob 14/20i, 7 Ob 18/20b, 7 Ob 88/20

 

Zinsen für die zurückzuzahlenden Prämien verjähren nach innerstaatlichem Recht grundsätzlich nach drei Jahren ab dem Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung; mehr als drei Jahre vor der Klagseinbringung rückständige Vergütungszinsen sind verjährt. Als Ausnahme ist lt. OGH zu prüfen, ob eine solche Verjährung mehr als drei Jahre fälliger Zinsen den Versicherungsnehmer daran hinderte, von einem Vertrag zurückzutreten, der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht seinen Bedürfnissen entsprach. Welche Kriterien für die Prüfung der Bedürfnisse angewandt werden, wurde vom OGH bisher noch nicht definiert.

 

Zu berücksichtigen ist natürlich auch, dass die aktuelle Rechtslage zum Thema Rücktritt in der Lebensversicherung (seit 1. 1. 2019) eine andere ist. Für ab diesem Zeitpunkt abgeschlossene Versicherungsverträge gilt daher diese neue Rechtslage, die aber auch andere - vom OGH noch nicht entschiedene - Fragestellungen aufwirft.

Das Thema des Rücktritts in der Lebensversicherung wird uns daher noch einige Zeit beschäftigen.

 

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