Lebensversicherung bei deutschem Versicherer - Spätrücktritt zulässig?

Der OGH entschied aktuell einen Fall, bei dem der Versicherungsnehmer von einer Lebensversicherung bei einem deutschen Versicherer zurücktreten wollte (OGH 7 Ob 174/20v, versdb 2021, 10). Es stellte sich die Frage, ob deutsches Recht zulässig vereinbart wurde und ob die Rücktrittsbelehrung ausreichend war.

 

 

Der Kläger ist Verbraucher und wohnt in Österreich. Er schloss mit der Beklagten, einen in Deutschland ansässigen Versicherer, einen Vertrag über eine fondsgebundene Rentenversicherung ab 1. 6. 2004 mit einer Laufzeit bis 1. 6. 2019.

 

Im Versicherungsantrag findet sich folgender Text:

„… Verantwortlichkeit, Schlusserklärungen, Widerspruchsrecht und Unterschriften

[…]

Schlusserklärung des Antragstellers. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten richten sich nach diesem Antrag, von dem mir bei Antragstellung eine Durchschrift/Kopie ausgehändigt wird, den gesetzlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland sowie den für den beantragten Tarif maßgebenden Versicherungsbedingungen, die mir mit dem Versicherungsschein übersandt werden. Darüber hinaus erhalte ich weitere Verbraucherinformationen.

Für den von Ihnen beantragten Versicherungsvertrag wird in Übereinstimmung mit den Verbraucherinformationen deutsches Recht, insbesondere das deutsche Versicherungsvertragsgesetz vereinbart. Soweit dieses zwingenden österreichischen Rechtsvorschriften (zB Konsumentenschutzgesetz) widerspricht, gilt das entsprechende österreichische Recht. […]

Widerspruchsrecht: Nach Erhalt der Unterlagen habe ich das Recht, dem Vertrag innerhalb von 14 Tagen in Textform zu widersprechen.“

 

Der Kläger unterfertigte diesen Antrag am 7. 6. 2004. Seine Unterschrift findet sich unmittelbar unter dem eben wiedergegebenen Text.

 

Im unmittelbaren Anschluss – auf der folgenden Seite des Versicherungsantrags – findet sich unter der Überschrift „Wichtige Hinweise und Erklärungen für Versicherungsnehmer in Österreich“ folgende Belehrung:

„Widerspruchsrecht/Rücktrittsrecht

Sie können als Versicherungsnehmer nach § 5a des deutschen VVG innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der Vertragsunterlagen dem Vertragsabschluss widersprechen. Die Darstellung der Regelungen nach österreichischem Recht (§ 3b des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes und § 5b des österreichischen Versicherungsvertragsgesetzes) entfällt, da durch das eingeräumte Widerspruchsrecht alle diesbezüglichen Interessen zugunsten des Kunden gewahrt sind. Der Rücktritt ist in Textform gegenüber der [...] zu erklären.“

 

Mit Schreiben vom 24. 6. 2004 übermittelte die Beklagte dem Kläger die Polizze der gegenständlichen Rentenversicherung, die Leistungsbeschreibung sowie das zusätzliches Bedingungswerk und Steuerinformationen. In der Polizze findet sich unter der Überschrift „Wichtige Hinweise“ nachfolgende Belehrung:

„Gemäß § 5 Abs 2 des Versicherungsvertragsgesetzes haben Sie ab Erhalt des Versicherungsscheines ein Rücktrittsrecht vom Vertrag von 14 Tagen, falls die Versicherungsbedingungen nicht bei Antragstellung ausgehändigt wurden.“

 

Unter der Überschrift „Erläuternde Einleitung zu der Leistungsbeschreibung, den Versicherungsbedingungen und der Polizze für Versicherungsnehmer in Österreich“ findet sich nachfolgender Text:

„Für Ihren Versicherungsvertrag gilt in Übereinstimmung mit den Verbraucherinformationen deutsches Recht, insbesondere das deutsche Versicherungsvertragsgesetz. Soweit dieses zwingenden österreichischen Rechtsvorschriften (zB Konsumentenschutzgesetz) widerspricht, gilt das entsprechende österreichische Recht.

Zum besseren Verständnis setzen wir für Sie als Versicherungsnehmer in Österreich der Leistungsbeschreibung und ihren Versicherungsbedingungen sowie Ihrer Police einige erläuternde und klarstellende Worte voran:

Die Abkürzungen VAG, VVG, HGB bezeichnen die deutschen Gesetzestexte und bedeuten:

VAG – Versicherungsaufsichtsgesetz

VVG – Versicherungsvertragsgesetz

HGB – Handelsgesetzbuch

[…]"

 

Die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen lauten auszugsweise:

„[…]

9. Anwendbares Recht – Gerichtsstand

Auf Ihren Vertrag findet das Recht der Bundesrepublik Deutschland Anwendung.

[…]“

 

Mit Schreiben vom 21. 12. 2018 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Versicherungsvertrag, den diese mit Schreiben vom 14. 1. 2019 zurückwies.

 

Mit Schreiben vom 15. 9. 2019 beantragte der Kläger die Auszahlung aus dem Versicherungsvertrag wegen anstehenden Ablaufs des Versicherungszeitraums, wobei er dem Antrag ein Schreiben beischloss, wonach er sich die Geltendmachung weiterer Anspruchsrechte aufgrund des von ihm erklärten Rücktritts vom 21. 12. 2018 vorbehalte. Die Beklagte hat dem Kläger insgesamt EUR 206.746,26 an Versicherungsleistung ausbezahlt.

 

Der OGH musste nun beurteilen, ob die Anwendung des Rechts der Bundesrepublik Deutschland zulässig vereinbart wurde bzw. ob die Rücktrittsbelehrung ausreichend war. Der OGH kam zu folgendem Ergebnis:

 

 

Anwendbares Recht

 

Nach Art 8 dEGVVG wäre österreichisches Recht anzuwenden, da der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Vertragsabschluss in Österreich hatte. Nach Art 10 Abs 3 dEGVVG können die Parteien von der Rechtswahl Gebrauch machen, wenn das nach Art 8 dEGVVG anwendbare Recht, sohin österreichisches Recht, dies als zulässig erachtet. Nach § 5 Z 1 IVVG ist damit grundsätzlich die Wahl deutschen Rechts – unter der in § 9 Abs 1 IVVG genannten Einschränkung – zulässig.

 

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass im Antrag und in der beigeschlossenen Leistungsbeschreibung darauf hingewiesen wird, dass für den Vertrag deutsches Recht gilt und soweit dieses zwingenden österreichischen Vorschriften widerspricht, das entsprechende österreichische Recht. In den zeitnah mit der Polizze übermittelten Versicherungsbedingungen wird davon abweichend in Art 9 geregelt, dass auf den Vertrag – uneingeschränkt – das Recht der Bundesrepublik Deutschland Anwendung findet.

 

Durch die in den Versicherungsbedingungen erfolgte Formulierung wird der Versicherungsnehmer – im Sinne der Rechtsprechung des EuGH – in die Irre geführt, indem ihm der Eindruck vermittelt wird, auf den Vertrag sei doch ausschließlich deutsches Recht anwendbar. Werden einem Versicherungsnehmer aber – wie hier – im engen zeitlichen Konnex, voneinander abweichende Regelungen in Vertragsformblättern und Versicherungsbedingungen für die Rechtswahl genannt, wird er insgesamt darüber in die Irre geführt, in welchem Umfang die Rechtswahl gilt, sodass sich in einem solchen Fall die Rechtswahl zur Gänze als widersprüchlich und somit als missbräuchlich erweist. Sie ist daher unbeachtlich.

 

Mangels wirksamer Rechtswahl gelangt somit österreichisches Recht zur Anwendung (§ 10 Abs 3 IVVG, Art 8, 11 dEGVVG; Art 32 Abs 1 RL 2002/83/EG).

 

 

Ausreichende Rücktrittsbelehrung?

 

Es stellt sich die Frage, ob durch diese Belehrungen über dem Versicherten nach deutschen Recht zustehende Rechte eine Erschwernis des Rücktrittsrechts des Klägers bewirkt wurde. Dazu hat der OGH bereits in der Entscheidung 7 Ob 117/20m dahin Stellung genommen:

 

Zunächst liegt in der unrichtigen Belehrung über die Geltung der deutschen Rechtsordnung schon insofern eine Erschwernis, als diese andere Rechtsbegriffe verwendet, die zudem in ein anderes System von Rechtsbehelfen eingebettet sind als das tatsächlich für den Vertrag geltende österreichische Recht. Weiters wird durch den Verweis auf die Gesetzmäßigkeit eines Textformerfordernisses nach deutschem Recht dem Verbraucher erschwert, die ihm nach österreichischem Recht zustehenden Rechte und konkret die Formfreiheit hinsichtlich der Ausübung seines Rücktritts zu erkennen und deren Richtigkeit gegenüber dem Anschein der Rechtskonformität der Belehrung nach angeblich geltendem deutschen Recht zu behaupten. In den Stellen der Belehrungen, in denen auf das hier anzuwendende österreichische Recht Bezug genommen wird, sind zudem § 165a Abs 1 oder § 178 Abs 1 VersVG nicht genannt, sondern es finden sich lediglich unspezifische Hinweise auf „zwingende österreichische Rechtsvorschriften (zB Konsumentenschutzgesetz)“. Nach dieser unspezifischen Belehrung verbleiben zudem erst recht Zweifel, welche Rechtsordnung und konkreten gesetzlichen Bestimmungen tatsächlich anzuwenden sind und welche Rechte dem Versicherungsnehmer konkret zustehen, zumal darüber keine bzw unklare Erklärungen angeführt sind.

 

Unklarheit besteht hier überdies auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Belehrungen. So heißt es einerseits „nach Erhalt der Unterlagen habe ich das Recht, dem Vertrag innerhalb von 14 Tagen in Textform zu widersprechen“. Gleich anschließend wird angeführt „Sie können als Versicherungsnehmer nach § 5a des dVVG innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der Vertragsunterlagen dem Vertragsabschluss widersprechen“. Zuletzt lautet die Belehrung „Gemäß § 5 Abs 2 des dVVG haben Sie ab Erhalt des Versicherungsscheins ein Rücktrittsrecht vom Vertrag von 14 Tagen, falls die Versicherungsbedingungen nicht bei Antragstellung ausgehändigt wurden“, in Art 8 der Versicherungsbedingungen werden die Mitteilungen schriftlich erbeten.

 

Durch diese von einander abweichenden Belehrungen wird dem Versicherungsnehmer ebenfalls die Ausübung des Rücktrittsrechts erschwert, ergibt sich doch damit weder klar, wann die Rücktrittsfrist zu laufen beginnt, noch ob der Rücktritt in Textform, schriftlich oder formfrei erfolgen soll und ob er von Bedingungen (Aushändigung der Versicherungsbedingungen) abhängig ist.

 

Zusammengefasst entspricht die dem Kläger erteilte Belehrung in einer Gesamtbetrachtung insgesamt nicht den Anforderungen an eine konkrete und verständliche Belehrung über das ihm nach § 165a VersVG in der anzuwendenden Fassung zustehende Rücktrittsrecht, wodurch dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wurde, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Daher hat die Rücktrittsfrist nach § 165a VersVG in der anzuwendenden Fassung im vorliegenden Fall mangels konkreter Belehrung durch die Beklagte nicht zu laufen begonnen. Dies führt zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht des Klägers.