Die Serienschadenklausel in der Haftpflichtversicherung begrenzt die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers. Der OGH entschied einen Fall, bei dem eine einheitliche Fehlerquelle mehrere Schadenersatzforderungen auslöste. Er kam zum Ergebnis, dass kein Serienschaden vorliegt (OGH 7 Ob 17/21g, versdb 2021, 19).
Die Beklagte ist aufgrund eines Großschadenhaftpflichtversicherungsvertrages (Exzedentenversicherungsvertrag) verpflichtet, für Schäden zwischen 72.674 EUR und 508.710 EUR Deckung zu gewähren. Die Klägerin (Rechtsanwalt) ist Versicherte.
Zwischen der Klägerin, einer Rechtsanwaltsgesellschaft im Sinn des § 1a Abs 1 RAO, und der U***** AG bestand ein Vermögenschaden-Haftpflichtversicherungsvertrag. Die Versicherungssumme von 1,5 Mio EUR war so aufgeteilt, dass als Basisversicherungssumme zur Abdeckung des Selbstbehalts des Großschadenhaftpflichtversicherungsvertrages (Exzedentenversicherungsvertrag) 72.673 EUR zur Verfügung standen, die restliche Versicherungssumme stand als Exzedentenversicherung, frühestens nach 508.710 EUR zur Verfügung. Dem Versicherungsvertrag der U***** AG lagen die Allgemeinen Bedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV) idF 1992 zugrunde, die auszugsweise lauten (Serienschadenklausel):
"Art 3 Sachliche Begrenzung der Haftung des Versicherers
(1) Die Versicherungssumme stellt den Höchstbetrag der dem Versicherer – abgesehen vom Kostenpunkte […] – in jedem einzelnen Schadenfalle obliegenden Leistung dar, und zwar mit der Maßgabe, dass nur eine einmalige Leistung der Versicherungssumme in Frage kommt,
a) gegenüber mehreren entschädigungspflichtigen Personen, auf welche sich der Versicherungsschutz erstreckt;
b) bezüglich eines aus mehreren Verstößen erfließenden einheitlichen Schadens, auch wenn diese Verstöße ganz oder teilweise durch Personen begangen wurden, für die der Versicherungsnehmer nach dem Gesetz einzutreten hat,
c) bezüglich sämtlicher Folgen eines Verstoßes. Dabei gilt mehrfaches auf gleichen oder gleichartigen Fehlerquellen beruhendes Tun oder Unterlassen als einheitlicher Verstoß, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander im rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen."
Die Klägerin vertrat im Zusammenhang mit der Insolvenz der A***** AG und Av***** AG eine Vielzahl von Geschädigten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Unter anderem meldete die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 28. 4. 2011 Forderungen der Geschädigten gegenüber der A***** GmbH (AeW) an. Dem Schreiben war eine Excel-Tabelle der von der Klägerin vertretenen Anleger angeschlossen, die allerdings unvollständig geblieben war, da die auf den A*****-Index Zertifikaten genannten Zweit- und Drittanleger nicht angeführt waren. Die AeW zahlte daher den Zweit- und Drittanlegern zustehende Entschädigungsbeträge von maximal je 20.000 EUR zuzüglich Zinsen nicht aus. Insoweit wird die Klägerin aus dem Titel des Schadenersatzes in Anspruch genommen.
Die Klägerin begehrt nun die Zahlung von 45.283 EUR sA an Versicherungsleistung und die Feststellung, dass die Beklagte ihr für sämtliche zukünftigen Schadenersatzansprüche, die von Klienten an sie aufgrund der fehlenden Nennung der Zweit- und Drittanleger im Schreiben vom 28. 4. 2011 und damit der nicht erfolgten Anmeldung deren Ansprüche auf Anlegerentschädigung gemäß §§ 75 ff WAG gegenüber der AeW, herangetragen würden, Deckung bis zum Höchstbetrag von 508.710 EUR zu gewähren habe. Aufgrund der Serienschadenklausel in Art 3.1.c AVBV sei von einem einheitlichen Versicherungsfall auszugehen. Das für alle betroffenen Klienten gemeinsame schadenauslösende Ereignis sei das Schreiben vom 28. 4. 2011 gewesen, mit dem die Ansprüche aller von der Klägerin vertretenen Anleger in einem geltend gemacht worden seien und in dem die Nennung der in den A*****-Index Zertifikaten aufscheinenden Zweit- und Drittanleger unterblieben sei. Auch wenn unterschiedliche Klienten als Geschädigte betroffen seien, sei der Schaden auf ein Tun oder Unterlassen zurückzuführen, das auf einer gleichartigen Fehlerquelle beruhe, auch der wirtschaftliche Zusammenhang sei gegeben. Die Versicherungssumme bei der U***** AG sei ausgeschöpft, die Deckungspflicht der Beklagten komme zum Tragen.
Die Beklagte (Versicherer des Exzedentenversicherungsvertrages) beantragt die Klagsabweisung. Es liege kein Serienschaden vor. Zu jedem in der Klage angeführten Mandanten bestehe ein gesondertes Mandatsverhältnis. Es sei nicht entscheidend, ob der Fehler der Klägerin in einem oder in mehreren einzelnen Schreiben für die jeweiligen Mandanten unterlaufen sei, weil dieser Umstand von den Mandanten nicht beeinflussbar sei. Es fehle an einem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang. Sämtliche behauptete Schadenfälle einzelner Mandanten überstiegen nicht 20.000 EUR und blieben daher unterhalb der Einstiegsgrenze des Exzedentenhaftpflichtversicherungsvertrags bei der Beklagten.
Entscheidung des OGH
Der OGH musste entscheiden, ob die Versicherung bei der U***** AG zur Abdeckung des gegenständlichen Schadens ausreicht, wozu die – dem Versicherungsvertrag zwischen der Klägerin und der U***** AG zugrunde liegende – Serienschadenklausel nach Art 3.1.c AVBV auszulegen ist.
Nicht strittig ist, dass die zwar zeitlich zusammenfallenden, aber mehrfachen, weil gegenüber den jeweiligen Mandaten gesondert begangenen Pflichtverletzungen auf „gleichen oder gleichwertigen Fehlerquellen“ beruhten. Im folgenden Halbsatz kommt es zu einer Einschränkung in den Bedingungen durch die Anforderung, dass „die betreffenden Angelegenheiten“ miteinander im rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen müsse.
Den Begriff „betreffende Angelegenheiten“ bezieht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer aus dem angesprochenen Adressatenkreis – hier Rechtsanwälte – nicht abstrakt generell auf sein berufliches Tätigkeitsfeld, sondern auf die jeweiligen Mandatsverhältnisse.
Die einzelnen Klienten erteilten hier der Klägerin voneinander unabhängig Mandate. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass aufgrund der vorliegenden selbstständigen Mandatsverhältnisse – trotz gleichartiger Interessen der unterschiedlichen Mandanten und der gleichen Vorgangsweise der Klägerin in mehreren Fällen – kein rechtlicher Zusammenhang gegeben ist, wird von der Klägerin selbst als richtig bezeichnet.
Ein wirtschaftlicher Zusammenhang ist hier gleichfalls zu verneinen: Mag der Versicherungsnehmer einer Rechtsanwalts-Vermögensschadenhaftpflichtversicherung auch bei einer Beauftragung mit einer Vielzahl gleichartiger Mandate nicht jeden einzelnen Fall mit gleichem juristischen und kanzleiinternen Aufwand aufarbeiten müssen, so schuldet er aufgrund der selbstständigen Mandatsverhältnisse jedem einzelnen Mandanten die pflichtgemäße Erfüllung des Bevollmächtigungsvertrags, sodass er auch dem jeweiligen Mandanten aus dem pflichtwidrig erledigten Mandat haftbar wird. Es fehlt aber an einem wirtschaftlichen Zusammenhang der selbstständig erteilten Mandate, wenn dem Versicherungsnehmer aus der – wenngleich von der gleichen Fehlerquelle beeinflussten – Erledigung der jeweiligen Bevollmächtigungsverträge ein Haftungsvorwurf gemacht wird, der zur Schädigung von selbstständigen Vermögensmassen der unterschiedlichen Rechtsinhaber führt. Bei Vorliegen mehrerer voneinander unabhängiger Mandatsverhältnissen und Schädigung unterschiedlicher Vermögensmassen reicht das standardisierte Vorgehen des versicherten Rechtsanwalts namens der einzelnen Mandanten ebensowenig wie das Zusammenfassen deren Erklärungen in einem Schriftsatz aus, um einen wirtschaftlichen Konnex herzustellen.
Zusammengefasst folgt daher, dass die fehlerhafte Vertretung der Klägerin in Bezug auf die jeweils selbstständigen Mandate, die sich auch jeweils nur beim jeweiligen Mandanten vermögensschädigend auswirkte, mangels rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs nicht als ein einheitlicher Verstoß im Sinn des Art 3.1.c AVBV anzusehen ist, sodass die mit der U***** AG pro Versicherungsfall vereinbarte Versicherungssumme nicht erreicht ist und damit die Exzedentenhaftpflichtversicherung der Beklagten noch nicht zum Tragen kommt.