Einordnung Verstoßzeitpunkt aufgrund Gegnerbehauptung möglicherweise unzulässig

Ein aktuelles Urteil des BGH zeigt auf, wie man möglicherweise die zeitliche Einordnung des Versicherungsfalles in der Rechtsschutzversicherung aufgrund der Behauptungen des Gegners des Versicherungsnehmers erfolgreich anfechten kann.

 

 

Die Bestimmung zur zeitlichen Einordnung des Versicherungsfalles lautet in den aktuellen ARB Musterbedingungen: "In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögens schadens (Artikel 17.2.1., Artikel 18.2.1. und Artikel 19.2.1.) sowie für die Wahrnehmung  rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23.2.1. und Artikel 24.2.1.1.) – gilt  als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners  oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem  Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben  soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen."

 

Für die Beurteilung der Gewährung von Versicherungsschutz ist nach der Auslegung des OGH entscheidend, ob die Behauptung des Gegners des Versicherungsnehmers Grundlage der außergerichtlichen Auseinandersetzung oder des Prozesses wird. Ist dies der Fall, dann gilt der Versicherungsfall im Zeitpunkt des (vom Gegner des Versicherungsnehmers behaupteten) Beginns des Verstoßes des Versicherungsnehmers als eingetreten. In der Entscheidung OGH 7 Ob 36/18x bedeutete dies, dass die vom Gegner (Lebensversicherer) behauptete vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers der Versicherungsfall ist und nicht die Leistungsablehnung durch den Lebensversicherer aufgrund der (zumindest behaupteten) Anzeigepflichtverletzung. Für die Festlegung des Versicherungsfalles ist es lt. OGH nicht entscheidend, ob der Versicherungsnehmer seinen Anspruch aktiv verfolgt oder einen gegen ihn gerichteten Anspruch abwehren möchte.

 

 

Aktuelle Entscheidung des BGH

 

Der BGH (Deutschland) legt dies zwar anders aus - dennoch zeigt eine aktuelle Entscheidung des BGH auf, dass die (österreichische) Klausel und deren Auslegungsergebnis möglicherweise als gröblich benachteiligend für den Versicherungsnehmer angesehen werden kann und somit der Klauselkontrolle – auch in Österreich - zum Opfer fallen könnte:

Ein Rechtsschutzversicherer und Verbraucherschützer stritten sich um eine Klausel in ARB. In den strittigen ARB sollte die zeitliche Einordnung dezitiert auch vom Vortrag des Gegners abhängig sein: "Hierbei berücksichtigen wir alle Tatsachen (das heißt konkrete Sachverhalte im Gegensatz zu Werturteilen), die durch Sie und den Gegner vorgetragen werden, um die jeweilige Interessenverfolgung zu stützen." Diese Formulierung entspricht daher im Wesentlichen dem Auslegungsergebnis des OGH.

Bestimmung untergräbt lt. BGH "Solidaritätszusage" gegenüber dem Versicherungsnehmer: Die Klausel ist lt. BGH für den Kunden zwar verständlich, benachteiligt ihn aber unangemessen. Versicherungsnehmer vertrauten darauf, dass sie als Gegenleistung der Prämienzahlung geschützt würden. Der BGH betonte, dass die darin liegende "Solidaritätszusage" nur eingelöst werde, wenn der Eintritt des Versicherungsfalls vom Standpunkt des Versicherten aus geprüft werde. Ansonsten könne der Gegner mit bloßen Behauptungen dem Rechtsschutz den Boden entziehen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten der Sache sei hiervon klar zu trennen (BGH - Urteil vom 31.03.2021 - IV ZR 221/19 Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 23. April 2021).

 

 

Mögliche Erkenntnisse für Österreich

 

 

Wenn nun ein konkreter Versicherungsfall aufgrund einer Behauptung des Gegners außerhalb des versicherten Zeitraumes liegt (z.B. Einwand der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung eines Lebensversicherers) und der maßgebliche Verstoß aus Sicht des Versicherungsnehmers in der ungerechtfertigten Ablehnung der Leistung aus der Lebensversicherung liegt, kann der Versicherungsnehmer versuchen, die Klausel (nach dem Auslegungsergebnis des OGH) mit der Argumentation aus der Entscheidung des BGH (Verletzung der "Solidaritätszusage") als gröblich benachteiligend iSd § 879 (3) ABGB anzufechten und so wieder in den Genuss der Versicherungsdeckung kommen.