Wann ist ein Unglücksfall auch ein versicherter Unfall? Der OGH legt den Unfallbegriff eher eng aus. Das zeigen insbesondere zwei Entscheidungen aus der jüngeren Vergangenheit.
Zunächst lässt sich dem Wortlaut in den AUVB nicht ausdrücklich entnehmen, dass das von außen auf den Körper wirkende Ereignis auch unmittelbar zu einer körperlichen Schädigung des Versicherten führen muss. Dies ist nach Ansicht des OGH dahin fortzuschreiben, dass gerade nach der Einschätzung eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zum Vorliegen eines Unfalls grundsätzlich eine wenngleich auch nur geringfügige Verletzung des Versicherten gehört. Im Regelfall ist also eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Versicherten dem Unfallbegriff inhärent. Von der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Versicherten als Wesensmerkmal des Unfalls können im Einzelfall allerdings Ausnahmen geboten sein. So hat etwa der BGH in der Entscheidung II ZR 95/60 (= NJW 1962, 914) einen Unfall angenommen, als der Versicherungsnehmer an einer Bergwand festsaß, weil sich das Kletterseil verhängt hatte und er infolgedessen erfror. Der BGH führte dort aus, dass das äußere Ereignis nicht stets den Körper des Versicherten unmittelbar beeinträchtigen müsse. Unter besonderen Umständen könnten auch Vorgänge, die seine Ausrüstung (dort das Seil) betreffen würden, dann geeignet sein, ein Unfallereignis zu begründen, wenn es sich dabei etwa um ein unentbehrliches Fortbewegungsmittel handle, dessen Verlust den Versicherten in eine hilflose Lage bringe, im Anlassfall den Bergsteiger praktisch völlig lähme, was einem „echten“ Unfall gleichzuhalten sei. Eine solche Ausnahme sei allerdings nach Ansicht des OGH nur zu erlauben, wenn der Versicherte durch ein hinzutretendes äußeres Ereignis in seiner Bewegungsfreiheit so beeinträchtigt werde, dass er den Einwirkungen von z.B. Kälte oder Hitze hilflos ausgesetzt sei. Wenngleich also das Vorliegen eines Unfalls im Regelfall eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Versicherten voraussetzt, kann eine gleichwertige, ebenfalls zur Annahme eines Unfalls führende Situation dann vorliegen, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis – ohne eine Verletzung am Körper – in einer wesentlichen körperlichen Funktionalität (z.B. Fortbewegungsmöglichkeit) so beeinträchtigt wird, dass er dadurch in eine hilflose Lage gerät, die dann zumindest mitursächlich für einen relevanten Gesundheitsschaden ist. Eine darüber hinausgehende Berücksichtigung etwa der bloßen Beschädigung von Ausrüstungsgegenständen, mögen sie auch am Körper getragen werden, ist durch den Unfallbegriff nicht gedeckt. Führt ein Sturz des Versicherungsnehmers beim Klettern in das Kletterseil vorerst zu keiner Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität und tritt aufgrund von durch den Sturz eingetretenen Beschädigungen in den Kniebereichen der Hose Feuchtigkeit ein, wodurch es in der Folge zu Erfrierungen an beiden Vorfüßen kommt, liegt daher nach Ansicht des OGH kein versicherter Unfall vor (OGH 7 Ob 32/17g, versdb 2017, 36).
Stressreaktion nach Gasaustritt
Werden äußere Ereignisse von der versicherten Person bloß sinnlich wahrgenommen, ohne dass jene sie unmittelbar körperlich beeinträchtigen, dann liegt kein Unfall vor, auch wenn dieses äußerlich bleibende Geschehen bei der versicherten Person innerkörperliche psychische Reaktionen (Stress- und Alarmreaktionen) auslöst, welche dann zu körperlichen organischen Schädigungen führen (hier Stressreaktion aufgrund Gasgeruch ohne direkte Gesundheitsbeeinträchtigung durch das Gas). Die Gefahren einer krankhafte Folgen auslösenden innerkörperlichen Stress- und Angstreaktion auf eine äußerlich bleibende (und sich auch nicht verwirklichende) Bedrohung der körperlichen Integrität sind in der Unfallversicherung nach Ansicht des OGH nicht gedeckt (OGH 7 Ob 200/18i, versdb 2019, 5).
Anmerkung
Beide Entscheidungen sind durchaus kritisch zu betrachten und die Entscheidungen wurden auch mehrfach kritisiert. Für die Gestaltung von Versicherungsbedingungen bedeutet dies in Zukunft, dass man durchaus daran denken könnte, dass man auch Gesundheitsschäden in den Versicherungsschutz aktiv einschließt, die nur mittelbar durch die äußere Einwirkung erfolgen bzw. auch dann, wenn die körperliche Integrität durch das von außen wirkende Ereignis nicht beeinträchtigt wurde, sondern erst in der Folge erste Gesundheitsschäden auftreten. Um diese Erweiterung nicht ausufern zu lassen, wäre eine zeitliche Beschränkung auf z.B. 24 oder 48 Stunden ab dem auslösenden Ereignis denkbar.