Verspätete Neubemessung aufgrund geistiger Beeinträchtigung

Personen mit mangelnder Geschäftsfähigkeit (Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit) genießen den besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs 1 ABGB). § 21 Abs 1 ABGB enthält nicht bloß eine programmatische Erklärung, die erst ihrer Konkretisierung durch andere gesetzliche Bestimmungen bedürfte. Vielmehr wird damit ganz generell der hohe Rang des Schutzinteresses nicht voll handlungsfähiger Personen festgelegt und eine umfassende Fürsorgepflicht des Gerichts für schutzberechtigte Personen angeordnet, die vor allem vor Übervorteilung im Geschäftsverkehr bewahrt werden sollen. Gerade gegenüber solchen schutzberechtigten Personen widerspricht die Berufung auf eine Ausschlussfrist ganz evident dem Grundsatz von Treu und Glauben. Entscheidungswesentlich ist dabei, ob die Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistung für dauernde Invalidität sowohl für den Versicherten als auch den Versicherungsnehmer tatsächlich an einer nach dem Unfall vorgelegenen geistigen Beeinträchtigung des Versicherten scheiterte.

 

 

Im vorliegenden Fall bestand innerhalb der vier Jahre keine durchgehende depressive Phase beim Kläger, während der seine Fähigkeiten herabgesetzt waren. Vielmehr konnten durch Medikation und Therapien wiederholt – wenn auch zum Teil kurze – Phasen von Tagen, Wochen und Monaten erreicht werden, in denen sich die Stimmung und der Antrieb des Klägers zum Teil vollkommen normalisierten bzw in denen er keine Symptome aufwies, in denen er keinen Einschränkungen unterlag und in denen er insbesondere auch mit der Beklagten eine umfangreiche versicherungsbezogene Korrespondenz führte. Der Antrag auf Neubemessung binnen vier Jahren ab Unfalltag ist daher nicht an einer nach dem Unfall vorgelegenen geistigen Beeinträchtigung des Klägers gescheitert. Die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist des Art 7.7 AUVB widerspricht nicht Treu und Glauben.

 

 

OGH 7 Ob 167/21s, versdb 2021, 63

 

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