Rechtsschutz: Verstoßzeitpunkt bei Unterlassung

Unzählige Urteile des OGH ergingen bereits zum Verstoßzeitpunkt in der Rechtsschutzversicherung. Ein aktuelles Urteil des OGH beschäftigte sich mit der zeitlichen Einordnung des Verstoßes bei einer Unterlassung des Gegners (OGH 7 Ob 169/21k, versdb 2022, 3).

 

 

Zwischen den Streitteilen besteht seit 31. 1. 2012 eine Firmen-Rechtsschutzversicherung, in dem auch privatrechtliche Ansprüche versichert sind. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2011) zugrunde, die auszugsweise lauten:

 

„Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt 2.1, Artikel 18 Pkt 2.1, Artikel 19 Pkt 2.1) sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23 Pkt 2.1 und Art 24 Pkt 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben.

[...]

 

Artikel 3

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung? (Zeitlicher Geltungsbereich)

1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.

[…]"

 

 

Der Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall am 13. 8. 2003 Verletzungen. Mit Rechtsschutzdeckung des für diesen Versicherungsfall bestehenden Rechtsschutzversicherers machte er in mehreren Prozessen aus dem Unfall resultierende Schadenersatzansprüche gegen den Unfallgegner bzw. dessen Haftpflichtversicherer geltend.

 

Nunmehr beabsichtigt er die klageweise Inanspruchnahme seiner in einem solchen Verfahren tätigen Rechtsvertretung auf Schadenersatz. Diese habe ihn im Zusammenhang mit der am 13. 8. 2013 eingebrachten Klage nicht über die unzureichende Rechtsschutzversicherungssumme aufgeklärt, überhöhte Beträge eingeklagt und keine notwendigen Klagseinschränkungen vorgenommen. Dadurch sei ihm ein Schaden von EUR 32.120 an dem Prozessgegner zu ersetzenden Prozesskosten entstanden.

 

 

Der OGH musste klären, ob der maßgebliche Verstoß im versicherten Zeitraum liegt.

 

Ein Verstoß (Versicherungsfall) im Sinn des Art 2.3 ARB ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er auch wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden. Bei mehreren (gleichartigen) Verstößen ist auf den ersten abzustellen. Ist kein einheitliches Verstoßverhalten des Schädigers erkennbar, handelt es sich bei den einzelnen schädigenden Verhaltensweisen jeweils um einen rechtlich selbständigen neuen Verstoß. War nach der Sachlage beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, liegen in der Regel nicht mehrere selbständige Verstöße, sondern ein einheitlicher Verstoß im Rechtssinn vor. Dies kann sowohl bei vorsätzlichen Verstößen der Fall sein, bei denen der Wille des Handelnden von vornherein den Gesamterfolg umfasst und auf dessen „stoßweise Verwirklichung“ durch mehrere gleichartige Einzelhandlungen gerichtet ist, wie auch bei Fällen gleichartiger fahrlässiger Verstöße, die unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen werden. Die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls im Rahmen der Rechtsschutzdeckung für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen soll vermeiden, dass die Rechtsschutzversicherung mit Kosten solcher Rechtskonflikte belastet wird, die bei Abschluss des Versicherungsvertrags bereits die „erste Stufe der konkreten Gefahrenverwirklichung“ erreicht haben, also gewissermaßen „vorprogrammiert“ sind.

 

Verstoßzeitpunkt ist somit der 13. 8. 2013. Dieser liegt auch im versicherten Zeitraum, sodass der Versicherer Deckung gewähren muss.

 

 

Anmerkung

 

Bei gegenständlichem Fall handelt es sich um die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens. Im Unterschied zur Geltendmachung eines Personen- oder Sachschadens, wo das Ereignisprinzip gilt, kommt bei der Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens das Verstoßprinzip zur Anwendung. Die zeitliche Einordnung des Versicherungsfalles durch den OGH ist im konkreten Fall schlüssig. Interessant ist dieser Fall deshalb, weil es um die zeitliche Einordnung des Versicherungsfalles bei einer Unterlassung des Gegners geht.

 

 

>> Weitere Urteile zum Verstoß in der Rechtsschutzversicherung (für versdb Kunden)