Unfall: Verletzung beim Aufstehen vom Fußboden gedeckt?

Der erweiterte Unfallbegriff (Unfallfiktion) erweitert den Versicherungsschutz in der Unfallversicherung. Dabei kommt es auf die genaue Formulierung der Klausel an, wie eine Entscheidung aus Deutschland zeigt (OLG Brandenburg r+s 2022, 42).

 

 

 

Die versicherte Person erlitt beim Aufstehen vom Fußboden ein Distorsionstrauma am linken Sprunggelenk.

 

Die Versicherungsbedingungen bestimmten, dass gemäß Nr. 1.3 AUB 2000 ein bedingungsgemäßer Unfall vorliegt, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Dem steht es nach Nr. 1.4 AUB 2000 gleich, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule entweder ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen werden.

 

Der Geschehensablauf erfüllt allerdings nach Ansicht des OLG Brandenburg in tatsächlicher Hinsicht keine der beiden Alternativen. 

 

Denn das Distorsionstrauma am linken Sprunggelenk, welches die versicherte Person seinerzeit nach ihrem Vorbringen beim Aufstehen vom Fußboden als erste Gesundheitsschädigung erlitten hat, wurde durch eine äußere (von ihr nicht beherrschbare) Krafteinwirkung, die für den Eintritt eines Versicherungsfalles iSd Nr. 1.3 … AUB 2000 stets unverzichtbar ist, weder allein- noch mitverursacht. Es handelte sich vielmehr um eine – infolge der Obdormition des linken Beines als einem körperinneren Vorgang – ungeschickte Eigenbewegung, die gerade nicht durch ein äußeres Ereignis beeinflusst und unkontrollierbar geworden ist. 

 

Bei einem sogenannten (dem Unfall) gleichgestellten Ereignis nach Nr. 1.4 AUB 2000 muss – was sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Klausel ergibt – spezifische Ursache für die darin beschriebene Art der Erstverletzung „eine erhöhte Kraftanstrengung“ sein. Eine solche liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor. Von vornherein nicht erfasst werden normale körperliche Bewegungen oder Tätigkeiten des täglichen Lebens, die zwar einen gewissen Muskeleinsatz, aber nach allgemeiner Lebenserfahrung keine bemerkenswerte Anstrengung erfordern, wie etwa das Gehen, Laufen, Aufstehen, Hocken oder Bücken. Hier kommt hinzu, dass der versicherten Person infolge der transienten Parästhesie im linken Bein eine erhöhte Kraftanstrengung gar nicht möglich gewesen ist. Eine Parästhesie ist eine krankhafte Empfindung im Versorgungsgebiet eines Hautnervs ohne erkennbare adäquate physikalische Reize. Sie wird von den Betroffenen meist als Kribbeln, „Ameisenlaufen“, Pelzigkeit, Taubsein, Prickeln, Jucken, Schwellungsgefühl und Kälte- oder Wärmeempfindung beschrieben (Wikipedia).

 

 

Anmerkung

 

Die Auslegung der erhöhten Kraftanstrengung erfolgt in Deutschland nach etwas anderen Kriterien als in Österreich. Nach Ansicht des OGH sind die im Rahmen alltäglicher Bewegungen vorkommenden Bewegungen (Abläufe) Maßstab für die Beurteilung, ob eine darüber hinausgehende „erhöhte Kraftanstrengung“ gegeben ist, sodass bei Ausübung einer Sportart auch „übliche“ und typische Abläufe, selbst wenn sie – gemessen an der Sportart – nicht in erhöhtem Maß kraftvoll ausgeübt werden, davon umfasst sind; auf individuelle körperliche Konstitution und Kräfteverhältnisse ist dabei nicht abzustellen. Im vorliegenden Fall wäre der OGH wohl zum gleichen Ergebnis gekommen. Enthält der "erweiterte Unfallbegriff" jedoch die Einschränkung der erhöhten Kraftanstrengung nicht, ist ausschließlich die Verletzung Leistungsvoraussetzungen, was den Versicherungsschutz für die versicherte Person positiv beeinflusst.