OGH beschäftigte sich mit Klauseln in der Reiseversicherung

Der OGH beschäftigte sich in einem Urteil mit zahlreichen Klauseln in der Reiseversicherung. Hier eine Zusammenfassung der Entscheidung zu den diversen Klauseln (versdb 2023, 29, OGH 7 Ob 3/23a).

 


Untersuchungspflicht

Klausel 15 (Art 16.5. RVB 2018):

„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben
[…]
sich auf Verlangen des Versicherers durch die vom Versicherer bezeichneten Ärzte untersuchen zu lassen.“

Bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung erlaubt es Art 16.5. RVB 2018 der Beklagten – unabhängig von einem begründeten Missbrauchsverdacht oder sonstiger berechtigter Gründe – die Untersuchung durch die vom Versicherer bezeichneten Ärzte vornehmen zu lassen. Eine derartige Klausel ist bei einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung – anders als etwa bei einer Kranken- oder Unfallversicherung – unüblich. Auf sie wird auch nicht besonders hingewiesen, sondern sie befindet sich im Fließtext unter der Überschrift „Was ist zur Wahrung des Versicherungsschutzes zu beachten (Obliegenheiten)?“, sodass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht damit zu rechnen braucht. Überdies ist diese Regelung – unabhängig von der Frage der Kostentragung – für den Versicherungsnehmer zweifellos nachteilig, stünde er doch ohne die Klausel besser da, ist die Klausel daher gemäß § 864a ABGB unzulässig.


Belegpflicht

Klausel 14 (Art 16.4. RVB 2018):
 
„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben
[...]
unverzüglich folgende Unterlagen an den Versicherer zu senden:
- bei Erkrankung oder Unfall: Detailliertes ärztliches Attest/Unfallbericht (bei psychischen Erkrankungen durch Facharzt der Psychiatrie), Krankmeldung bei der Sozialversicherung und Bestätigung über verordnete Medikamente;“

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausführte, geht aus der Klausel entgegen der Ansicht der Beklagten keineswegs zweifelsfrei hervor, dass lediglich bereits vorhandene Unterlagen übermittelt werden müssen. Vielmehr sieht die Klausel vor, dass bestimmte Unterlagen unverzüglich an den Versicherer übermittelt werden müssen. Dies kann bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung dahin
verstanden werden, dass der Versicherungsnehmer erst einen entsprechenden (Fach-)Arzt aufsuchen müsste, um von diesem ein detailliertes Attest oder einen Unfallbericht zu erhalten, den er dann dem Versicherer übermitteln könnte. Darüber hinaus enthält die Klausel auch keine Einschränkung in Bezug auf die Zumutbarkeit der Belegbeschaffung (siehe Punkt 11.3. der Entscheidung).
Damit verstößt diese Klausel gegen § 34a VersVG, wonach sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die von (unter anderem) § 34 Abs 2 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, nicht berufen kann und ist daher unzulässig.


Belegpflicht

Klausel 13 (Art 16.3. RVB 2018):

„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben
[...]
bei Erkrankung oder Unfall unverzüglich eine entsprechende Bestätigung des behandelnden Arztes (bei Reiseabbruch vom Arzt vor Ort) ausstellen zu lassen;“

Gemäß § 34 Abs 2 VersVG kann der Versicherer Belege insoweit fordern, als die Beschaffung dem Versicherungsnehmer billigerweise zugemutet werden kann. Anders als § 34 Abs 2 VersVG enthält Art 16.3. RVB 2018 keine Einschränkung auf die Zumutbarkeit der Einholung des ärztlichen Attests, obwohl die unverzügliche Einholung einer ärztlichen Bestätigung, welche bei Reiseabbruch noch dazu durch einen Arzt vor Ort auszustellen ist, den Versicherungsnehmer im Ausland vor erhebliche Mühen und Schwierigkeiten stellen, im Extremfall sogar eine unüberwindbare Hürde darstellen kann. Wenn die Beklagte argumentiert, die fehlende Bezugnahme auf die Zumutbarkeit schade nicht, weil dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar sei, dass Unzumutbares von ihm nicht verlangt werden könne, so
ist dem nicht zu folgen. Vielmehr ist die Klausel bei kundenfeindlichster Auslegung dahin zu verstehen, dass diese Obliegenheit ohne jede Einschränkung gilt. Damit verstößt diese Klausel aber gegen § 34a VersVG, wonach sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die von (unter anderem) § 34 Abs 2 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, nicht berufen kann und ist daher unzulässig.
 

Klausel Reisestorno

Klausel 12 (Art 14.2.5. RVB 2018):
 
„Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann [...]
bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person an ihrem Wohnsitz infolge Elementarereignis (Hochwasser, Sturm usw.), Feuer, Wasserrohrbruch oder Straftat eines Dritten, der ihre Anwesenheit dringend erforderlich macht;“

Die Klausel ist zulässig.


Klausel Reisestorno

Klausel 11 (Art 14.2. RVB 2018) und Klausel 18 (Art 17.3. RVB 2018):

„Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann, eine gesondert gebuchte touristische Leistung während der Reise zur Gänze nicht nutzen kann […]“

„Der Versicherer ersetzt bis zur vereinbarten Versicherungssumme [...]
wenn eine gesondert gebuchte touristische Leistung während der Reise zur Gänze nicht genutzt werden kann, die vertraglich geschuldeten Stornokosten.“

Die Klauseln sind zulässig.


Schadenminderungspflicht Klausel

Klausel 10 (Art 8.1.5. erster Halbsatz RVB 2018):
 
„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben:
[...]
Schadenersatzansprüche gegen Dritte form- und fristgerecht sicherzustellen […]“

Ganz abgesehen davon, dass der Begriff „sicherstellen“ im gegebenen Zusammenhang völlig unklar ist, kann die Klausel bei kundenfeindlichster Interpretation dahin verstanden werden, dass der Versicherungsnehmer auf eigene Kosten Klagen bzw Beweissicherungsanträge einzubringen hat, um das Kriterium der form- und fristgerechten Sicherung zu erfüllen.

Die Klausel verstößt daher sowohl gegen § 6 Abs 3 KSchG als auch gegen § 879 Abs 3 ABGB.


Schadenminderungspflicht Klausel

Klausel 9 (Art 8.1.1. RVB 2018):

„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben:
Versicherungsfälle nach Möglichkeit abzuwenden, den Schaden möglichst gering zu halten, unnötige Kosten zu vermeiden und dabei allfällige Weisungen des Versicherers zu befolgen;“


Die Klausel ist daher ausreichend bestimmt; sie verstößt auch nicht gegen § 879 Abs 1 ABGB, weil dadurch kein Abweichen vom Gesetz erfolgt.


Fehlender Hinweis auf Folgen Obliegenheitsverletzung

Klausel 8 (Art 8.1. RVB 2018):

„Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt: [...]“

Es ist zwar richtig, dass das Vertragswerk hier lediglich aus fünf Seiten besteht,  allerdings enthält der auf Seite drei befindliche  Art 8.1. RVB 2018 ebenfalls keinen Hinweis auf den auf der letzten Seite abgedruckten Gesetzestext sowie darauf, warum sich der Versicherungsnehmer diesen durchlesen sollte.
    
Die Klausel ist daher wegen Verstoßes gegen § 6 Abs 3 KSchG unzulässig.


Ausschluss Sanktionen / Embargos

Klausel 7 (Art 6.2. RVB 2018):
 
„Kein Versicherungsschutz besteht, soweit und solange diesem auf die Vertragsparteien direkt anwendbare Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos der Europäischen Union oder der Republik Österreich entgegenstehen. Dies gilt auch für Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos, die durch andere Länder erlassen werden, soweit dem nicht europäische oder österreichische Rechtsvorschriften entgegenstehen.“

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann jedenfalls anhand dieser Klausel nicht ansatzweise gesichert einschätzen, wann und in welchem Umfang es zum Entfall des Versicherungsschutzes kommen könnte.

Die Klausel verstößt daher insgesamt gegen § 6 Abs 3 KSchG und ist unzulässig.


Ausschluss Extremsportarten

Klausel 6 (Art 6.1.19. RVB 2018):
 
„Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] bei Ausübung einer Extremsportart auftreten (gilt nicht für Reisestorno);“

Der Begriff „Extremsportart“ hat einen ausreichend bestimmten Begriffsinhalt. Darunter versteht der durchschnittliche Versicherungsnehmer Sportarten, die schon ihrer Art nach mit einer sehr hohen Gefahr für Leib und Leben verbunden sind, wie etwa Wingsuit Fliegen, Paragleiten, Apnoetauchen oder Free-Solo-Klettern. In diesen Fällen ist ein Risikoausschluss auch sachlich gerechtfertigt.


Reiseversicherung: Ausschluss erhöhtes Unfallrisiko

Klausel 5 (Art 6.1.11. RVB 2018):
 
„Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] entstehen, wenn die versicherte Person einem erhöhten Unfallrisiko durch körperliche Arbeit, Arbeit mit Maschinen, Umgang mit ätzenden, giftigen, leicht entzündlichen, explosiven oder gesundheitsgefährdenden Stoffen sowie elektrischer oder thermischer Energie ausgesetzt ist (gilt nicht für Reisestorno).“

Aus dem Wortlaut geht keineswegs eindeutig hervor, dass der Risikoausschluss nur bei auf Reisen untypischen Tätigkeiten zur Anwendung gelangt. Bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung sind hingegen zahlreiche auf Reisen typische Tätigkeiten erfasst, da bei ihnen aufgrund einer der aufgezählten – weit gefassten – Ursachen ein erhöhtes Unfallrisiko besteht. Die Klausel ist gröblich benachteiligend.


Behördliche Verfügungen

Klausel 4 (Art 6.1.10. RVB 2018):

„Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen werden; […]“

In Art 6.1.11. RVB 2018 bleibt für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer völlig offen, welche „Ereignisse aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen“ werden und an wen diese „behördlichen Verfügungen“ adressiert sein müssen. Die Klausel ist daher intransparent.